Projekt Beschreibung

Taverne Graf Egino im Gasthof Staffler, Egenburg

Wo die „Donnernde Magd“ & Eule „Elenea“ ins Mittelalter locken – Wenn die Fenster eines Lokals mit Brettern verschlossen sind, ist dies in der Regel das Ende. Die Bretter können aber auch andere Gründe haben. In der „Taverne Graf Egino“ gehören sie zur Innenausstattung und sind plakatives Zeichen einer neuen Ära. Entschuldigung, einer vergangenen Ära, denn im Gasthof Staffler in Egenburg geht es vom Eingang rechts geradewegs ins späte Mittelalter!

„Waschet Euch die Hände, bevor Ihr nach dem feinen Mahle greifet, Speyset mit Pfriem, Löffel und Messer und säubert Euch den triefenden Mund mit dem Maulwischer…“

Auf gutes Benehmen wird Wert gelegt in der „Taverne Graf Egino“, wie dieser Auszug aus den Tischsitten  zeigt. Wir befinden uns schließlich im späten Mittelalter, so um 1400 n. Chr. Seinerzeit gab es noch keinen Knigge, aber doch schon zahlreiche Benimmregeln, auf deren Einhaltung geachtet wurde. Wer sich anno 1400 daneben benimmt, riskiert Schelte und böse Blicke oder eins auf die Finger – wenn er sich am Bratenstück des Tischnachbarn vergreift.
„Wilde Besäufnisse, herumfliegende Essensreste und Halligalli gibt es bei uns nicht, diese Form von Mittelaltergastronomie machen wir nicht“, so die Wirtsleute Sabine und Stefan Staffler. Das ist nicht etwa tadelnd gemeint, es ist halt ein anderes Konzept. „Wer zu uns kommt, taucht in eine vergangene Zeit ab, kann gut und gepflegt speisen und einen schönen Abend im mittelalterlichen Ambiente verbringen.“
Bewusst wurden nicht nur große Tafeln aufgestellt, sondern auch kleine Nischen eingerichtet, für Gäste, die zu zweit oder alleine kommen. Feste Menus und damit verbundene Zwänge gibt es auch nicht. „Wir wollen unsere Gäste nicht nötigen, für 4 Gänge zu bezahlen, wenn sie eigentlich nur eine Kleinigkeit essen möchten“, so Sabine Staffler. Dementsprechend gibt es eine feine Karte mit mittelalterlichen Speisen, aus der sich jeder aussucht, wonach ihm der Sinn steht.

Reckenstärkung und Schnatterpfanne
Oft kommt es allerdings vor, dass die Bedienung – sie trägt selbstredend ein mittelalterliches Gewand – zweimal fragen muss: „Habt‘s scho was gewählt, ihr Leut?“ Wenn nicht, dann liegt es daran, dass die amüsante Speisekarte von den meisten Gästen gründlich durchgelesen wird. Schließlich mag man wissen, was sich hinter klangvollen Gerichten wie „Reckenstärkung“ (Fleischsuppe mit Brotwürfeln), „Donnernde Magd“ (Lauchsuppe mit geräucherten Speckstreifen) oder „Schnatterpfanne“ (Entengeröstl mit Hühnerei und Stücken der Semmeltorte) verbirgt. – Fast alle Gerichte sind übrigens Eigenkreationen!
Eine „zeitgemäße“ Karte für das Restaurant zu erstellen, war indes gar nicht so einfach. „Daran haben wir lange gefeilt und viel ausprobiert“, berichten die Wirtsleute. Die Schwierigkeiten begannen damit, dass Hirsebrei, von dem sich damals das einfache Volk ernährte, nicht grad jedermanns Sache ist. Was nutzt der Gastronomie des 21. Jahrhunderts Authentizität, wenn sie keinem schmeckt? Geld verdienen kann man so nicht. Die Lösung bringt Stefan Staffler so auf den Punkt: „Bei uns speisen die Adligen!
Nächstes Problem: Viele Lebensmittel, die heute eine Selbstverständlichkeit sind, brachten erst die Spanier im 16. Jahrhundert aus der Neuen Welt mit: Tomaten, Bohnen, Paprika, Mais und natürlich die Kartoffel. Das fällt alles weg. Stattdessen gibt es viel Wurzelgemüse wie Kohlrabi, Karotten oder Lauch. An Fleisch kommen frisches Wild, Ente, Schwein und Fisch auf den Teller. „Arme Ritter“ dürfen unter den Speisen natürlich nicht fehlen. Außerdem langen nicht nur der Junker und seine Recken gerne zur Rothenburger Ritterrolle, eine gefüllte Teigrolle „welche man mit seinen bloßen Händen verzehrt.“
Bis vor drei Jahren war ihr Lokal ein typisch bayerischer Gasthof. Ein Stüberl, ein Nebenzimmer, ein Saal, Kegelbahn und Schießstand – ein Wirtshaus, in dem die Dorfbewohner sonntags nach der Kirche einkehren. Was andererseits heißt: Warme Küche gab es nur Sonntagmittag. Als das Paar den Betrieb von Stefans Eltern übernahm, wollten sie auch unter der Woche warme Küche anbieten. Dass da die Dorfbewohner als Gäste nicht ausreichen, war klar. Man musste also auch Gäste aus dem weiteren Umkreis ansprechen.
Auf das Mittelalter sind die Stafflers beim Besuch des Hacker-Pschorr „Wirte-Forums“ gekommen. Dort sprachen sie mit dem Gastro-Berater Helmut Kammerer über die Möglichkeiten, ihren Betrieb auf Vordermann zu bringen. Und Kammerer fragte, was sie denn interessiert, was sie für Hobbys haben. Da begannen Stefan Stafflers Augen zu leuchten und er berichtete von seiner Leidenschaft fürs Mittelalter, seiner Schwerter- und Replikensammlung… Eine Idee war geboren.

Ganz oder gar nicht!
„Eigentlich wollten wir erst mal klein anfangen, das Nebenzimmer ein bisschen im mittelalterlichen Stil einrichten und abwarten, ob es angenommen wird“, erzählt Sabine Staffler. Ob es ankommt, ließ sich im Vorfeld nur schwer einschätzen. Egenburg liegt zwischen den beiden A8-Ausfahrten Adelzhausen und Odelzhausen. Nicht völlig ab vom Schuss, aber doch recht abgelegen.
Auf einem Mittelaltermarkt fragten die Stafflers einen Kunstschmied, ob er ihnen einen Kerzenkronleuchter schmieden könnte. Da waren sie bei Rudi – man kennt sich inzwischen – genau an der richtigen Adresse. Dieser konnte noch viel mehr – nämlich Kontakte knüpfen zu seiner Mittelaltergruppe und zum Innenarchitekten Eyk Voigtländer. Man verabredete mit Voigtländer einen Besichtigungstermin und als dieser die Räumlichkeiten für mittelaltertauglich befand, ließen sich die Stafflers eine 3-D Simulation erstellen.
Nun muss man wissen: Voigtländer ist nicht nur Innenarchitekt, sondern auch Konzeptentwickler und Mittelalterexperte. Aus der Ideenschmiede seiner Fa. Form + Funktion stammt u.a. die schon erwähnte Rothenburger Ritterrolle, die er als to go-Angebot für Mittelaltermärkte entwickelt hat. Aus den ursprünglichen Plänen der Stafflers fürs Nebenzimmer („Wir machen ein bisschen Mittelalter“) wurde ein volles Programm – vom Konzept über Einrichtung & Ausstattung bis zum Internetauftritt. Die Handwerker fanden sich in „Rudis“ Mittelaltergruppe. Die waren mit Feuer und Eifer bei der Sache. Endlich konnten sie ihr Hobby in vollen Zügen ausleben und „ihre“ Zeit neu erschaffen.
Die Begeisterung und den Spaß, den alle Beteiligten hatten, sieht und spürt man an unzähligen liebevollen Details in der Taverne. Das fängt an mit den „verbretterten“ Fenstern. Sie sind natürlich nicht vernagelt, sondern durch eine Art raffinierte Fensterladen von innen geschlossen und bieten Sichtschutz in beide Richtungen: Das Mittelalter bleibt drinnen und das 21. Jahrhundert draußen. Was für Neugierige, die – O-Ton Stefan Staffler: nur ein bisschen „luren“ wollen – natürlich schade ist. Da hilft nur reingehen.
Durch die Ritzen der Fensterläden oder die geöffnete Luke dringen Lichtstrahlen in den Gastraum und werfen diesen in ein faszinierendes Licht, was das Gefühl von Mittelalter trefflich unterstützt. Abgesehen von einigen indirekten Lichtquellen unter den Bänken wird die Taverne mit Kerzen beleuchtet. Auf jedem Tisch steht ein handgeschmiedeter Kerzenständer, jeder ein bisschen anders. Und über der Tafelrunde hängt natürlich der Kerzenkronleuchter von Rudi dem Schmied.
Damit kein uniformer Eindruck entsteht, sind die schweren Holzstühle ebenfalls alle unterschiedlich. Die Stuhlmodelle an sich variieren und auch die Form und Höhe der Rückenlehnen. Sogar einen mittelalterlichen Kinderhochstuhl gibt es. Auf den Bänken liegen Schaffelle und sorgen für ein kuscheliges Ambiente. „Manch ein Gast hat schon nach dem Essen gesagt, er könnt jetzt einschlafen“, lacht Sabine Staffler. Die Sitzpolster auf den Stühlen wurden aus historischen Mehlsäcken genäht.

Ab in die Liebesnische
Interessant ist auch das Spiel mit unterschiedlichen Ebenen und Raumtrennungen. Zum herrschaftlichen Graf Egino Tisch gelangt man über 5 Stufen auf eine kleine Empore. Von dort hat man den vollen Überblick über den Raum. Rechts und links vom Söldnertisch hängen grobe Sisal-Vorhänge, die Abgrenzung schaffen, ohne einzuschließen. Und die Liebesnische ist eine nach vorne offene Kammer mit kleinem Ausguck nach hinten – der sich aber fatalerweise nur von außen öffnen lässt. Kann also passieren, dass plötzlich jemand die Luke öffnet und zu den Turtelnden reinschaut.
Eine besondere Attraktion ist die Schnee-Eule Elenea, ein Geburtstagsgeschenk von Sabine Staffler an ihren Mann. Die große Eule wurde von einer Egenburger Falknerin von Hand aufgezogen und wohnt jetzt in einer Voliere hinterm Haus. Wenn die Gäste nach Elenea verlangen, zieht sich Stefan Staffler gerne den Lederhandschuh an und führt den mächtigen Raubvogel in der Taverne vor. Keine Sorge: Die Eule kennt solche Publikumsauftritte von klein auf, es bereitet ihr keinen Stress. „Sie schaut sich neugierig um, reckt den Hals in alle Richtungen und scheint es richtig zu genießen“, berichtet der Hobby Falkner Stefan Staffler. Und die Gäste sind natürlich begeistert.
Etwa 1/3 der Gäste sind „hardcore“-Mittelalterfans, die in Gruppen aktiv sind und auch große Entfernungen in Kauf nehmen. Da ist die Taverne in eine Nische gestoßen. „Einen mittelalterlichen Gasthof, in dem man sich mit Gleichgesinnten treffen und wohlfühlen kann, gibt es weit und breit nicht“, so Stefan Staffler. „Wir haben Gäste aus dem Chiemgau, dem Tölzer Land und aus Landshut.“

Stammgäste als Schwertschlucker
Wobei „Gäste“ eigentlich das falsche Wort ist. „Es ist wie eine große Familie. Man kennt sich und hat immer gleich ein Gesprächsthema“, freut sich Staffler. Die „Mittelalterlichen“ kommen zudem gewandet nach Egenburg und tragen so ihren Teil zum mittelalterlichen Flair der Taverne bei. Gerne wird auch mal demonstriert, was man so in Sachen Feuerspucken oder Schwerterschlucken draufhat – in Absprache mit den Stafflers, versteht sich…
Die anderen 2/3 der Gäste sind eine bunte Mischung: viele Geschäftsleute, die mit ihren chinesischen, japanischen oder mexikanischen Partnern kommen; Mittelalter-Interessierte; „normale“ Gäste, die mal etwas anderes probieren möchten oder auch Schulklassen, die hier im Rahmen des Geschichtsunterrichts einen kulinarischen Einblick in die Vergangenheit bekommen.
Je nachdem, wie Tisch und Stühle gestellt werden, finden in der Taverne Graf Egino bis zu 75 Gäste Platz. Geöffnet ist von Donnerstag bis Sonntag ab 17 Uhr – Reservierung wird empfohlen. Ein bis zweimal im Monat finden Veranstaltungen mit mittelalterlicher Musik oder Gaukeleien statt. Für private Veranstaltungen oder Events kann die Taverne ebenfalls gebucht werden. Demnächst soll hier sogar eine mittelalterliche Hochzeit zelebriert werden.
Die Egenburger selber kommen schon auch in die Taverne. Wobei sie sich mit dem neuen Konzept anfangs schwer getan haben – man gewöhnt sich ja nicht so leicht an Neues. Aber es gibt ja noch den „restlichen Gasthof“ mit Stüberl, großem Saal für Veranstaltungen, Schießstand und Kegelbahn, sodass jeder Gast entscheiden kann, welchem Jahrhundert er bei seinem Besuch den Vorzug gibt. Mit dem Unterschied zu früher, dass es abends warme Küche gibt!
Nach und nach wollen die Stafflers das Mittelalter-Konzept weiter ausbauen. Aktuell wird ein mittelalterlicher Biergarten vor dem Haus angelegt. Übernachtungsmöglichkeiten sind im Gespräch. Nicht dass die weit gereisten Gäste nachts Raubrittern und Wegelagerern in die Hände fallen…

Weitere Infos:

www.taverne-graf-egino.de
www.gasthof-staffler.de
www.formplusfunktion.de
www.rothenburger-ritterrolle.de

Erschienen in Gastronomie-Report 4/2012

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