Projekt Beschreibung

Ramenbar Cocolo, Berlin

Irgendwo und Sowieso – Mit dem Lasso-Chan Gäste einfangen
Was in der Küche der Zukunft zählt, sind Flexibilität und Mobilität – diese beiden Faktoren, gewinnen auch in der Gastronomie immer größere Bedeutung. Wie man die Mobilität auf die Spitze treiben kann, zeigen wir anhand einer Ramenbar in Berlin. In der deutschen Hauptstadt gibt es ein Lokal, das keine feste Adresse und nicht mal einen Telefonanschluß hat, aber trotzdem – oder gerade deswegen? – einen Riesenerfolg.

„Irasshaimase – kann ich Ihnen helfen?“ fragt die Wata-Hime im Cocolo zur Begrüßung. Aber wenn es der Gast bis an diese Schwelle geschafft hat, ist das größte Problem eigentlich schon gelöst: die Suche nach der aktuellen Adresse dieser japanischen Suppenküche, deren Standort ständig wechselt. Mal kocht das Cocolo seinen „Ramen“ zum japanischen Animationsfilm „Prinzessin Mononoke“, mal trifft man das Cocolo im Haus des Lehrers oder in der Galerie Tagebau. Beständig ist nur der Auftritt im Cafe Schwarzenraben am Wochenende.

Wer sich mit Freunden im Cocolo treffen will, muß nicht nur das „wann“, sondern vor allem auch das „wo“ klären. Die einzige Chance, dies herauszufinden, bietet das Internet. Die Termine, zu denen Ramen gekocht wird, sind auf der Homepage zu finden – der ganz harte Kern lässt sich per Email-Newsletter informieren.

„Der Gedanke war, immer für kurze Zeit in einer Räumlichkeit zu catern“, erklärt Oliver Prestele, der hinter dem Konzept steht, „und dann weiterzuziehen – mit Sack und Pack und den Fans im E-Mail-Anhang folgend.“ Klingt absurd, klingt paradox, betriebswirtschaftlich völlig daneben, trotzdem ist Prestele mit diesem Konzept mordserfolgreich – die Unbeständigkeit macht einen Teil seines USP (Unique selling position) aus.

Ein anderer Teil des USP ist die Suppe selber. Ramen ist japanisches Fastfood. Es gehört in Japan zum Alltagsleben wie bei uns die Currywurst oder die Leberkäs-Semmel. So gewöhnlich, dass vor Prestele noch keiner auf die Idee gekommen ist, dass Deutschland Ramen braucht. In Japan gibt es die Nudelsuppe – bzw. eigentlich sind es mehr Nudeln in einem Suppenfond – an fast jeder Straßenecke und zu jeder Tageszeit. Überall stehen die Köche mit ihren zusammengeflickten Karren. Drum herum die Kunden, die eine Portion Ramen verdrücken. „Ramen ist für mich ein perfektes Produkt“, erklärt Prestele, „Feste Nahrung, die durch Flüssigkeit gezogen wird. Ein in Massenproduktion hergestelltes Lebensmittel, das aktuelle Bedürfnisse befriedigt – schnell, fettarm, frisch zubereitet, ein kompaktes Konzept, das über Durchlauf funktioniert.“

Den Ramen zu essen, ist eine Kunst für sich. Er wird geschlürft. Man nehme zwei Stäbchen und versuche, die flutschigen Nudeln, die länger als Spaghetti sind, aus der Flüssigkeit zu fischen und Richtung Mund zu führen. „Das schaut bei Deutschen ziemlich lustig aus“, kommentiert der Ramen-Pionier Prestele. Was uns auf die Frage bringt: Wer kommt denn eigentlich ins Cocolo? „Zur Hälfte Japaner, die im Cocolo ein Stück Heimat gefunden haben und dazu „Japanophile“, Kreative und normales Publikum.“

Seinen Weg nach Berlin hat der Ramen gefunden, als der Produktdesigner – oder Gestalter, wie er sich selber nennt – Prestele nach Japan reiste. Er war auf der Suche nach interessanten Konzepten, die sich kopieren und modifizieren lassen. Und verliebte sich in die Ramenküche. Bei seinem nächsten Besuch in Japan betrieb er intensive Ramenforschung. Wieder zurück, fing er an, Ramen zu kochen. Die ersten Kochversuche waren nach seinen Angaben „schrecklich“. Heute, drei Jahre später und nach einem weiteren Besuch in Japan, sagt er: „Ich mußte feststellen, dass wir eine unglaublich hohe Qualität bieten, sogar für japanische Verhältnisse“. Keine Übertreibung, selbst in der japanischen Presse ist zu lesen, dass – so unglaublich es für den japanischen Leser klingen mag – ein Deutscher in Berlin Ramen kocht, der sich von japanischem kaum unterscheidet.

Während er noch mit den Kochversuchen zugange war, machte sich Prestele zeitgleich an die Gestaltung einer Suppenbar. Mobil, wie die selbstgezimmerten Wagen in Japan, aber bitte ein bißchen ansehnlicher und praktischer. Heraus gekommen ist das Lasso-Chan (= kleines Lasso). Den Namen wählte Prestele, weil es aussieht, als ob ein Lasso geschwungen wird, wenn die Japaner ihren Ramen schlürfen. Vom Lasso-Chan existieren 3 Prototypen, die alle auf eine Serienproduktion ausgelegt sind und auf ihren Einsatz in weiteren Städten warten. Mit anmontierten Sitzen, Beleuchtung und Gasbrennern ausgestattet können die mobilen Einheiten den Vorrat für rund 100 „Schlürfer“ aufnehmen. Die Modelle sind zerlegbar und passen so in eine große Kiste (0.6 x 1,2 m) mit Rädern, können also auch durch Türen gerollt werden. Gekocht wird in zwei Töpfen. In dem einen ist der Fond, in dem anderen das Wasser, um die Nudeln frisch zu kochen. Die übrigen Zutaten wie Gemüse, Algen, Eierstich, Mirin, Miso und Sojasoße werden wie an einer Cocktailbar druntergemischt. Fastfood, aber trotzdem individuell und frisch.

Presteles ursprünglicher Plan war es, mit der mobilen Suppenküche Deutschland den Ramen näherzubringen und Nachahmer für sein Konzept zu finden. Darum geht es nach wie vor, aber nebenbei ist er dabei zum ständigen Suppenkoch im Cocolo – der 1. Lasso-Chan Ramenbar – avanciert. Manchmal kommt es halt anders… Das Cocolo – auf Deutsch „Herzlichkeit“ – hatte seine Geburtsstunde, als Prestele während einer Japan-Ausstellung zum ersten Mal Ramen fürs Publikum kochte. Die Japanerin Hitomi Kojima – kurz Hito – kam vorbei und stieg quasi gleich in die Suppenbar ein.

Und diese Art der Mitarbeiterrekrutierung – Zufall gepaart mit Begeisterung – machte Schule. Erst gab es nur japanische Suppe – dann japanische Suppe mit japanischer Musik, dann japanische Suppe mit japanischer Musik und japanischem Entertainment. Derzeit hat das Cocolo eine Stammcrew von 5 Leuten, die für schrille Events garantieren. Hito sorgt beispielsweise als DJ für japanische Atmosphäre. Die Geisha Wata Hime, in Wahrheit übrigens ein Mann, präsentiert sich grell geschminkt, mit knallrotem Fischmund und folkloristisch angezogen. So bedient sie die Gäste oder versucht, ihnen schräge Japan-Souvenirs zu verkaufen: Socken mit Zehen, Atemmasken, Bonbons, Plastikspielzeug …

Das Konzept des Cocolo kann für sich alleine stehen, läßt sich aber auch phantastisch in bestehende Konzepte integrieren. Bestes Beispiel ist das Cafe Schwarzenraben. Bereits seit eineinhalb Jahren macht das Cocolo dort jedes Wochenende Station. Die Suppenbar wird am Samstag aufgebaut und ist am Montag wieder verschwunden. Im vorderen Bereich, von der Straße einsehbar, wird Ramen gekocht, im hinteren gibt es Pizza, Pasta und Co – das Schwarzenraben ist nämlich im Alltag ein Italiener: Multi-Kulti in Reinform.

Klingt schon wieder absurd. „Aber das paßt ganz gut zusammen“, erklärt Schwarzenraben-Chef Rudolf Girolo. „Die italienische und japanische Küche haben mehr Gemeinsamkeiten, als man denkt.“ Stimmt, die Nudel! Konkurrenz macht das Restaurant im Restaurant dem Schwarzenraben keine. O-Ton Girolo: „Im Gegenteil, dadurch kommen Gäste zu uns, die wir sonst nie erreicht hätten.“

Erschienen im Gastronomie-Report 8/2001, über die weitere Entwicklung ist uns nichts bekannt

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