Projekt Beschreibung

Restaurant Me Nam – „Das Schwein hat kein Vaterland“

Sie ist derzeit in aller Munde und voll im Trend – die leichte, asiatische Küche. Wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte, McDonald’s hat ihn geliefert. Die authentische fernöstliche Küche findet man inzwischen an den erstaunlichsten Orten, wir wurden im Papst-Johannes-Haus in Mering fündig.

Zweierlei kann man aus der erstaunlichen Geschichte des Dr. Nguyen Tien-Huu lernen: Wenn das Konzept stimmt und dem Gast mit Liebe und Überzeugung räsentiert wird, geht alles – auch ein „Vietnamese“ im Pfarrheim. Und wenn ein vietnamesisches Lokal aus Rücksicht auf eingefahrene Essensgewohnheiten seinen Gästen auch „deutsche Klassiker“ anbietet, sollte andererseits ein bayerischer Wirt nicht zögern, seine Gäste mit asiatischen Genüssen zu überraschen.

Er ist promovierter Völkerkundler, Journalist, Koch, Kellner, Gastronom, Philosoph, Maler, Buchautor. Einige seiner liebenswerten Kochbücher, die immer auch Anekdoten erzählen (z. B. Das Schwein hat kein Vaterland, Buchendorfer Verlag) sind inzwischen vergriffen und rare Kleinodien. Er studierte an der Sorbonne und in München, er war Universitätsdozent und in den 70er Jahren wohl der bekannteste Botschafter seiner Heimat Vietnam. Er, der als Sohn eines Großgrundbesitzers aufwuchs und noch als Junge völlig mittellos in den Süden Vietnams flüchten mußte, er, der Regimes kommen und gehen sah und den Irrsinn des Krieges erlebte, dieser Mann kam nach München, um für sein geschundenes Land Verständnis zu erwirken.

Er tat das auf eine sehr sinnliche Weise: Über das Essen! Essen ist in Vietnam weit mehr als Nahrungsaufnahme, sondern Lebenskunst, Erotik und Verbindung zu den Ahnen. Wenn man in Deutschland fragt: „Wo arbeiten Sie?“, fragt man in Vietnam „Wo arbeiten und essen Sie?“ Das Schriftzeichen für „Essen“ besteht aus den Einzelzeichen für „Mund“ und „Frieden“. Diesen friedlichen Weg der Völkerverständigung begann Dr. Nguyen Tien-Huu 1973 behutsam zu gehen und zwar im ersten vietnamesischen Lokal der Stadt, im ersten in Deutschland.

Auf den 25 Rattanstühlen in dem kleinen Restaurant in der Theresienstraße war bald kein Platz mehr zu ergattern, denn diese feine vietnamesische Küche unterschied sich so wohltuend vom chinesischen Einheitsessen, daß sie schnell Anhänger fand. Salbei, Zitronenmelisse, Vanille, Zitronengras, Minze – das ist der Stoff aus dem die sanften Verführer, die ungewöhnlichen vietnamesischen Geschmacksnuancen sind. Das Restaurant wurde zum Treffpunkt der Künstler und Schriftsteller, der Genießer, aber nie ein Schicki- Micki-Ort.

Eigentlich hätte sich das 1939 geborene Multitalent zur Ruhe setzen können, aber was tut er? Er pachtete in Mering das Papst-Johannes-Haus und eröffnete am 2.Oktober 1996 das Restaurant Me Nam. Nun behaupten Spötter, daß das Beste an Mering der schnelle Zug nach München sei und auch bei weniger spöttischer Betrachtungsweise ist die Marktgemeinde südöstlich von Augsburg wirklich nicht der Nabel der kulturellen Welt! Und auch das Papst-Johannes-Haus, ein Bau mit Bibliothek, Gemeindesaal und einem Restaurant lag im tiefen Dornröschenschlaf.

Der Vorpächter gab nach einem Jahr auf. Er hatte versucht, ein französisches Gourmetlokal zu etablieren – und scheiterte. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Erfolgsgewohnten Gastronomen aus der Großstadt! Aber genau das reizte Tien Huu. Ihm bedeuten materielle Güter wenig, wenn man die geistige Basis verloren hat. Jeder Stillstand ist ihm verhaßt und Dinge, die allzu einfach passieren genauso: „In München ging alles von selbst, das Restaurant lief und lief, aber ich wollte mehr Raum für kulturelle Ideen haben.“

Also pachtete er das etwas marode Papst-Johannes-Haus zu klaren Bedingungen: Seine Küche ist verantwortlich für die Bewirtung aller Betriebsfeiern oder Vereinsjubiläen im großen Saal, zusätzlich steht ihm das Restaurant zur Verfügung und er ist quasi der Kulturmanager für den gesamten Komplex. Das heißt, daß er Künstler nach Mering holen kann, Vernissagen veranstalten, Diavorträge initiieren. Das reizt ihn, da ist das Energiebündel Tien Huu in seinem Element.

Tausend Ideen füllen bei ihm noch keinen Tag und sein Optimismus ist bewunderswert, macht fast ein wenig betroffen, wenn man gerade selber wieder einmal ein Es-geht-sowieso-alles-schief-Tief hat. Auch bei Tien Huu läßt sich der Erfolg nicht aus dem Ärmel schütteln und so schnell lassen sich die Meringer und die Umgebung im Schnittpunkt der in München berüchtigten Autokennzeichen AIC, LL, FFB, DAH nicht überzeugen. Da waren um die Weihnachtszeit einige so baff erstaunt wie die Kindergärtnerinnen bei ihrer Weihnachtsfeier: “ Do ischja a Chines’auf dem Papscht Johannes Haus“ tönte es und je nach kulinarischem Mut war man eher angetan oder doch lieber auf der sicheren Seite der Schweinsbraten-Front.

Trotzdem: Das Gästebuch füllt sich, inzwischen ist Tien Huu schon wieder bei „Volume 3″ im MeNam. Seit er nämlich in München begonnen hat, sammelt er Gästebücher mit illustren Texten von Schriftstellern wie Michael Ende oder Unterschriften und Kunstwerke von Leuten, die in Galerien sechsstellig gehandelt werden. Und von Leuten wie Du und Ich – besonders gerne von Kindern.Diese bekommen einen Becher mit Farben und Stiften und können nach Herzenslust eine oder mehrere Seiten im Gästebuch gestalten. Das verschafft den Eltern eine Verschnaufpause und den Kindern neben Spaß auch einen heiligen Ernst, denn immerhin ist das ein wichtiges Buch, in das sie da malen dürfen! Und Tien Huu vermittelt auch jedem der Kids seine Bewunderung! Er liest auch jedes der mehr oder weniger ambitionierten .,“Dichterwerke“ im Buch sofort laut vor: „Tien Huu ist zwar nicht groß, doch die Küche ist famos. Um nicht zu sagen er ist klein, wir schauen immer wieder rein!“

Nach einem halben Jahr deutet sich allmählich an, wo das Konzept hingeht: Das Restaurant MeNam ist die Kür, der Saal die Pflicht. Das Restaurant arbeitet noch nicht kostendeckend, trotz der alten Stammgäste aus München, die sich nach Bayerisch-Schwaben wagen und trotz der neuen Stammgäste, die diese exquisite Bereicherung der gastronomischen Landschaft nicht hoch genug einschätzen können. Und den perfekten Service, die persönliche Betreuung, die guten Tips, daß dieser Lycheewein „erfrischend und wiederbelebend sei“ und jenes Gewürz gut für Männer!

Der Wareneinsatz ist hoch im Me Nam, die Kosten für Tischwäsche etc. genauso. Was sich rentiert, ist die Pflicht: Während der Veranstaltungen im Saal bedarf es nur der Papiertischdecken, das Catering besteht aus fünf bis sieben vietnamesischen Speisen, Frühlingsrollen und Suppen zu 5 Mark, einem Hauptgericht mit Fleisch (beispielsweise das exzellente Huhn in Curry und Kokosmilch) zu 15 Mark. Ein wirklich fairer Preis, denn die „Qualität ist absolut identisch mit dem Restaurant. Zusätzlich bietet Tien Huu auch deutsche Gerichte an, anfangs hat er noch 50/50 vietnamesisch/ deutsch kalkuliert, heute sind es bei 30 vietnamesischen Bestellungen nur 10 deutsche. Wenn’s der Bauer erst einmal kennt, frißt er es eben doch!

Erschienen im Gastronomie-Report 5/1997. Die weitere Entwicklung des Me Nam ist uns leider nicht bekannt.

Für weitere innovative Ideen für Gastro, Bar und Hotels empfehlen wir Ihnen ein Jahresabo des Gastronomie-Report.