Projekt Beschreibung

Zauberstube Oberammergau

Neulich am Tresen in Öberammergau: „Ich möchte wirklich gerne wissen, wie der das Geld verschwinden läßt“, meint der Gast mit dem Vollbart. „Letzte Woche hat er den Trick auch schon angewendet, und plötzlich habe ich 100 Mark in meiner Brusttasche wiedergefunden“, mischt sich der Nachbar am Tresen ein. – Was steckt da dahinter? Ein neuer Korruptionsskandal am weißblauen Himmel? Mitnichten, nur ein Wirt, der seine Gäste verzaubert.

Vlado hat mal wieder seinen berühmten Geldwechseltrick abgezogen: Schein vom Gast nehmen, klein zusammenfalten, schon ist aus dem kleinen Blauen ein großer Blauer geworden. Und schon hat Vlado wieder für Diskussionsstoff zwischen Toiletten und Hinterzimmer gesorgt. Vlado steht für Vladimir Zerebni, seines Zeichens Wirt und Magier in der Oberammergauer „Zauberstube“. Dort wird Erlebnis-Gastronomie der besondere Art geboten. Seine Tricks geübt hat der drahtige Magier und Hosenträger- Fan schon zu Zeiten seiner Hotelfachlehre als Barkeeper. Als immer mehr Gäste wegen der Tricks und nicht wegen der Drinks auf den Barhockern Platz nahmen, gab es nur eins: die eigene Kneipe.
„Die meisten Wirte sehen ihre Funktion nur darin, Bier zu zapfen, sage ich mal überspitzt. Nur fünf Prozent unterhalten ihre Gäste auch“, erklärt Vlado sein Konzept „Dabei wäre es so einfach, die Gäste stärker an sich zu binden.“ Dabei fällt ihm ein Kellner ein, der sein Trinkgeld immer hinterm Rücken im hohen Bogen in eine Dose schnippt. Oder der Eisdielenbesitzer, der die Kugeln wie Pfannkuchen hochwirft und so in seine Waffeln befördert. „Die Leute dort kommen bestimmt nicht wegen dem Eis, sondern wegen der Show“, ist Vlado überzeugt.
Und so trägt sich der 40jährige mit dem Gedanken, ob er nicht Unterhaltungs-Seminare für Wirte anbieten soll. Noch aber verschlingt die „Zauberstube“ seine ganze Zeit; hier ist er beileibe nicht nur Wirt und Künstler: So kam eines Tages ein kleiner, stiller Junge auf Krücken mit einer Krankenschwester aus der nahegelegenen Rheumaklinik zu ihm. Vlado zauberte ihm etwas vor, ließ den Jungen bei Tricks mitmachen und verriet ihm gar einige Geheimnisse. Der Junge fand das so toll, zaubern zu können, daß sein Selbstbewußtsein einen gehörigen Schub bekam, genauso wie die Genesung. Bald waren die Krücken Vergangenheit, und Vlado plötzlich als Wunderheiler verkannt. Kurz nach dieser Geschichte kam eine Frau in sein Lokal und meinte:“ lch habe gehört,sie können Rheuma wegzaubern.“
Der „legale“Weg, an Tricks zu kommen, ist allerdings nicht Mitleid, sondern Kauf. Es gibt regelrechte Zaubertrick-Händler. Die Preise fangen an bei 2,50 Mark und gehen bis in die Zehntausende. Menschen schweben zu lassen -Viados größte Attraktion – kostet 5000 Mark. Verkauft werden die Idee und die dazugehörigen Hilfsmittel. Danach muß der Zauberlehrling, aber auch der Meister üben, üben, üben. Bei Kartentricks zum Beispiel bis zu drei Monate. Und das perfekte Beherrschen ist nicht alles. Genauso wichtig ist die „misdirection“, das Irreführen, mit dem der Zauberer sein Publikum ablenken muß, wenn er etwas heimlich verschwinden läßt.
Daß er das beherrscht, beweist Vlado täglich von Mittags bis ein Uhr nachts. In seiner „Zauberstube“ ist Vlado Herrscher und Hofnarr in einer Person. Dafür macht er sich die Arbeit nicht eben leicht. Gleichzeitig Salate zubereiten, Pils zapfen, Gulaschsuppe erhitzen, abkassieren, Bestellungen aufnehmen – mit nur einer Aushilfe – und sich dazwischen zu den Gästen an die Tische setzen, wo sie ihm in die Karten schauen können. Tricks verrät er ganz selten, höchstens rheumakranken Kindern. Oder eben uns, damit wir sie seinen Kollegen weitersagen können. Etwa den mit dem Glas, das auf dem Tisch in eine Zeitung eingerollt wird und plötzlich nicht mehr da ist, wenn man mit der Faust auf das erstarrte Papier schlägt.
„Du mußt beim Einrollen einige Male mit dem Glas auf den Tisch hauen. Dann läßt du das Glas heimlich in deinen Schoß fallen, rollst weiter ein und schlägst von unten mit dem Glas gegen die Tischplatte“, so erklärt Vlado den Trick. Klingt ja ganz einfach. Aber es macht nichts, wenn es in der Praxis nicht klappt. Das Wichtigste an Viados Erfolgskonzept ist, daß er seine Gäste unterhält – Zaubern ist da nur eine von vielen Möglichkeiten.

Erschienen im Gastronomie-Report 10/1995

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Foto: Viola Schenz

www.zauberstubn.de