Projekt Beschreibung
Landhaus Spatzenhof, Wermelskirchen
Im Waisenhaus trifft Bergische Sinfonie auf Poe’sche Schweinerei
Wir haben schon häufiger über spannende Gastronomie-Konzepte in den ungewöhnlichsten Locations berichtet. Dabei ging es mal in die Kirche oder auch ins Krematorium. Wir haben tolle Lokale in alten Fabrikhallen entdeckt, in stillgelegten Bahnhöfen, in der Straßenbahn und in einer ehemaligen Volksschule. – Dieses Mal besuchen wir ein Waisenhaus im Bergischen Land.
Jeder Kölner weiß es: Raus ins Bergische Land, da lässt es sich toll wandern oder im Winter Schlittenfahren und in den urigen Landgasthäusern schmeckt das Essen. Im Landhaus Spatzenhof in Wermelskirchen gibt es dazu noch eine spannende Portion Geschichte. Diese wird im ganzen Haus erzählt, damit wird liebevoll gespielt und darauf sind Konzept, Einrichtung und Küche abgestimmt worden.
Zur Geschichte: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Spatzenhof von der kinderlosen Freifrau Clara von Krüger als Waisenhaus für Jungen gebaut. Später wurde ein Erholungsheim draus und schließlich ab 1959 eine Ausflugsstätte – eine wie viele andere auch.
Das änderte sich 2007, als Wolfgang und Elke Schmitz-Heinen das ehemalige Kinderheim übernahmen. Das Paar strebte eine Neupositionierung an, die über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen werden sollte. Ihr Plan: ein besonderes Gastronomie-Konzept (kreative Küche, hohe Qualität, annehmbare Preise) plus eine außergewöhnliche Architektur und Ausstattung (Hightech meets History) und eine ressourcenschonende Energieversorgung.
Das Haus wurde kernsaniert und die Geschichte des Hauses konzeptionell eingebunden. So wurden im Erdgeschoss mehrere Gasträume geschaffen, die sich thematisch an die ehemalige Nutzung des Kinderheims anlehnen. Dass wir uns gerade im Schlafsaal befinden, davon sprechen u. a. die Bettteile an der Decke, die in die indirekte Beleuchtung integriert wurden. An der Wand hängt großformatig der „Arme Poet“ in seiner feuchten Schlafkammer oder die Wandleuchten haben eine Schlafmützenform. Auf den dunkelblau-karierten Polsterstühlen und -Bänken sitzt man quasi auf einer „Bettmatratze“.
Wem es im Schlafsaal zu geräumig ist, der findet auch kleinere Speisezimmer, wo er die klassisch feine Landhausküche oder ein mehrgängiges Menü von Sternekoch Phillipp Wolter genießen kann. Zusammen mit seiner Frau Tanja betreibt er seit 2010 die Gastronomie und die Hotellerie des Hauses. Aber bleiben wir erst noch im Restaurant im Erdgeschoss, bevor wir uns nach oben in die Themensuiten des Hotels begeben.
Egal, wo man isst, ob im Schlafsaal, in der alten Küche, in der Besenkammer, in der Büßerecke oder in der Speisekammer: Überall wurden Einrichtung und Ausstattung ans Thema angepasst. Wer einen Platz in der Speisekammer wählt, der hat beim Essen viel zu schauen: alte Werbetafeln, Schinken und Würste an der Wand und ein riesiger mit Lebensmitteln gefüllter Vorratsschrank, der die ganze Rückwand ausfüllt. Nicht zu vergessen die Lampen, die sind umfunktionierte Milchflaschen. Und die Vorhänge werden durch Karotten zusammengehalten!
Freifrau Clara von Krüger selber tritt standesgemäß in „ihren“ Räumen in Erscheinung: im Private Dining Room, der für exklusive Veranstaltungen und Feierlichkeiten genutzt wird. Hier finden auch in regelmäßigen Abständen besondere Menüabende statt wie z. B. ein Hummer- oder Trüffelmenü, ein Champagner-Degustationsdinner oder Weinabende mit renommierten Winzern. Die Ausstattung mit hochwertigem Kirschholz, feinem Tafelsilber und Porzellan der Königlichen Porzellanmanufaktur KPM in Berlin hätte Claras adeligen Ansprüchen zweifelslos Genüge getan.
Die zweite Hausbesitzerin ist ebenfalls ein Thema im Spatzenhof. Ihr begegnet man in Gunda‘s Zwitscherstube. In Gedenken an die Vorbesitzerin Frau vom Bovert wurde ihr die kleine, gemütliche Bar im denkmalgeschützten Altbau gewidmet. Von Gunda stammt übrigens das urige Motto des Spatzenhofes: „Gib den Gästen nur vom Besten aus den Kisten, aus den Kästen; von den Resten kannst Du Dich dann selber mästen.“
Wer mag, kann im Spatzenhof nicht nur essen, sondern auch Kochen lernen. An mehreren Terminen im Jahr bietet Phillipp Wolter Kochkurse zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten an. Das reicht von Wild oder Fisch & Krustentieren bis zum Weihnachts- & Silvestermenu und für die Kinder steht in der Adventszeit der Bau von Lebkuchenhäusern auf dem Programm.
Legendär sind auch die jährlichen Küchenpartys, die in den ruhigeren Monaten März und November stattfinden. Zu diesem Anlass öffnet Wolter seine Küchentüren und kocht gemeinsam mit befreundeten Spitzenköchen live vor den Augen der Gäste. Gegessen wird in lockerer Atmosphäre in der Spatzenhofscheune mit Weinen befreundeter Winzer und musikalischer Unterhaltung.
Einen wichtigen Punkt haben wir noch gar nicht angesprochen: die Waisenkinder! Der Spatzenhof hat sich stellvertretend sechs prominente Waisenkinder herausgepickt, denen ein sechsgängiges Hommage Menu und sechs Themen-Suiten in den oberen Etagen gewidmet sind. Damit sind wir nun in dem kleinen, aber feinen Hotelbetrieb angelangt. Alle Möbel und Armaturen der Suiten wurden sorgfältig und individuell auf ihre Namensgeber abgestimmt.
Ganz nach Gusto können die Gäste klassisch-elegant in der Suite Coco Chanel oder im gediegenen Stil eines englischen Gentlemen‘s Club bei Edgar Allan Poe übernachten. Very british ist auch das Margret Rutherford (Miss Marple!) Zimmer mit Kamin, großer Standuhr und einladenden Polstermöbeln. In der Johann Sebastian Bach Suite taucht man ins Barockzeitalter ab und Tolstoi bringt dem Gast das 19. Jahrhundert näher. Das Herzstück des Hauses, die Hochzeitssuite, ist der Hollywood-Diva Marilyn Monroe gewidmet und greift den Stil Hollywoods in den 50er Jahren auf.
Foto: Roman Knie
Dieses Gastro Konzept ist im Gastronomie-Report 7/2015 erschienen.
Für regelmäßige Inspirationen durch innovative Gastronomie- und Hotel-Konzepte empfehlen wir Ihnen ein Jahresabo des Gastronomie-Report.