Projekt Beschreibung
Gut Riedelsbach – mit der Leasingsau auf Gästefang
Was will der Gast? In allen Statistiken heißt es: weniger Fleisch, mehr Fisch und Gemüse! Wer heutzutage, im Zeitalter von BSE, als Wirt auf Fleisch setzt, müßte folgerichtig ein armes Schwein sein, um dessen Lokal die Gäste einen großen Bogen machen. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Wenn Qualität, Kompetenz und pfiffige Marketing-Ideen zusammenkommen, dann honorieren dies die Gäste.
Im Dreiländereck zwischen Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik liegt das Gut Riedelsbach. Dort, wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen, hat die Familie Sitter einen Betrieb aufgebaut, auf dem Galloway- und Hereford-Rinder aufgezogen werden, und zu dem eine Gaststätte, eine Pension und der hauseigene „Hofladen“ gehören.
„Unser Gut ist in Niederbayern recht bekannt“, heißt es im Hause Sitter. Aber wie das so ist: Was der Gast kennt und schätzt, da fährt er nicht unbedingt hin. Lieber läßt er sich auf neue, nicht selten zweifelhafte Abenteuer ein. In dieser Situation kam dem Seniorchef Wilhelm Sitter vor einem Jahr eine Idee, die sich schnell als Geniestreich entpuppt hat: die Leasing-Sau.
Gegen eine einmalige Zahlung von 200 Mark kann der Gast ein Ferkel „leasen“, das dann auf dem Gut bis zur Schlachtreife gefüttert wird. Die starke Marketing-Idee wurde mit liebevollen Details gefüttert: So kann der stolze Ferkel-Besitzer für 20 Mark eine Lebensversicherung auf sein Eigentum abschließen, das mit einem Knopf im Ohr gegen Verwechslungen geschützt ist. Wer will schon später die falsche Sau futtern? Die Leasing-Sau sorgt darüber hinaus für Zulauf in der Gaststätte. Das geleaste Ferkel will schließlich besucht werden, den Freunden und Bekannten vorgestellt werden, etc.
„Die Leasing-Sau ist wie ein Lauffeuer durch Presse und Radio gerannt“, freut sich Bernhard Sitter, der Wirt der Gaststätte im Gut Riedelsbach. Im letzen Sommer wurde ein Wurf vermarktet, heuer rechnet man mit etwa 100 Käufern. Abgerechnet wird übrigens nach der Schlachtung, dann wird eine Abschlagszahlung je nach Schlachtgewicht fällig.
Unterm Strich ist die „Leasing-Sau“ nicht viel mehr als ein Nebenaspekt auf dem Sitterschen Gutshof. Als reinen PR-Gag sollte man die Geschichte aber nicht abtun, denn sie zeigt, daß beim Thema Fleisch Qualität, Glaubwürdigkeit und Herkunftsnachweis an erster Stelle stehen. Wer ganz auf Nummer Sicher gehen will, ißt künftig halt sein „eigenes“ (geleastes) Fleisch. Platz für viele, viele Leasing-Sauen ist auf dem Gut Riedelsbach allemal, denn die großzügigen Stallungen für die gutseigenen Rinder stehen den ganzen Sommer über leer – wegen der extensiven Weidehaltung der Herden.
Hoffest als Attraktion für die Gäste
Den Standortnachteil fernab jeder größeren Stadt und direkt an der Grenze machen die Sitters durch außergewöhnliche PR-Maßnahmen wett. Neben Anzeigen und Mund-zu-Mund-Propaganda ist das „Hoffest“, das in diesem Jahr zum dritten Mal stattfindet, zu einem wichtigen Faktor geworden. „Rund 5000 Besucher sind jedesmal gekommen“, erzählen die Sitters stolz. Die Besucher können sich vor Ort von dem engagierten, einfalls- und erfolgreichen Konzept überzeugen, das dort verfolgt wird.
Seit 1981 werden auf dem Hofgut Rinder in extensiver Haltung gezüchtet. Bei Fleischrindern werden die Kühe nicht gemolken. Die gesamte Milch bekommt 10 Monate lang das Kalb, das mit der Mutter und der gesamten Herde heranwächst. Anschließend kommen die Jungtiere nach Geschlechtern getrennt auf eigene Weiden. „Diese Naturburschen liefern nach ca. 30 Monaten ein schmackhaftes, dunkles, leicht marmoriertes Fleisch mit geringem Fettanteil“, so Bernhards Bruder Wilhelm, der Landwirt der Familie.
Die Vermarktung erfolgt im „Wirtshaus mit Speiselokal“, wie Bernhard Sitter seine gemütliche Gaststätte nennt und per Hofladen. Unter Brüdern kann man sich nicht nur die Filetstücke heraussuchen, aber das würde Bernhard Sitter auch gegen den Streich gehen. „Zum Handwerk vom Wirt und seinem Koch gehört, dem Gast alle verwertbaren Teile des Rindes schmackhaft zu machen“, so seine Devise. Und nur so rechnen sich auch die überaus zivilen Preise im Lokal – wo der Gast ein dreigängiges Menü für 15 bis 18 Mark bekommen kann. Beim Fleisch liegt die Betonung natürlich auf Rinderspezialitäten. Aber für Gäste, die partout kein Rind mehr essen wollen, gibt’s auch Schweinefleisch, Wild, frisches Geflügel und sogar Fisch. Als Digestif empfiehlt Bernhard Sitter Spezialitäten wie „Bullenschluck“ oder „Gallowayschluck“ (2 cl für 2,70 Mark).
Für die Kinder ist das Gut Riedelsbach ein kleines Paradies – nicht nur wegen der Extra-Speisekarte mit leckeren „Kindertellern“ . Im Lokal gibt’s eine kleine Malecke und einen Lego-Spieltisch, draußen wartet auf die „kleinen Gäste“ ein Streichelzoo mit Ziegen, Geflügel und einem Esel.
Die Wurstspezialitäten läßt Bernhard Sitter von einem „Spezl“ herstellen, einem Metzger, der selbst einen Betrieb führt. Diese Spezialitäten und diverse Fertiggerichte sowie portioniertes Rindfleisch bietet das Gut Riedelsbach seit 1993 auch im hauseigenen „Hofladen“ an, den Ehefrau xx Sitter betreut. Diese Direktvermarktung hat sich seither gut entwickelt, heißt es bei den Sitters. Dazu trägt sicherlich bei, daß der schmucke Laden neben der normalen Öffnungszeit (dann bekommt man auch die „Bio-Kiste“ mit frischem Gemüse sowie Käse) auf Wunsch der Gäste jederzeit sonst geöffnet wird.
Das gesamt Sortiment bis hin zu Würsten, Schinken und der Edelsalami gibt’s nicht nur zum Mitnehmen, sondern auch per Versand und auf Bestellung. Direkt im Hofladen verkauft werden etwa 80%, verschickt ca. 20% der Produkte. Dieser Anteil könnte bei größerer Bekanntheit noch gesteigert werden, denn der bequeme Einkauf von zu Hause aus liegt ja -gerade bei Bio-Produkten – voll im Trend und macht ökologisch Sinn.
Kampf um das Vertrauen der Kunden
Der Umsatz im Hofladen ist in letzter Zeit durch die BSE-Panik etwas zurückgegangen. Im Lokal zahlt sich die konsequente Rinderzüchtung in eigener Regie aus. Anders gesagt: Die Gäste haben Vertrauen und bestellen weiterhin Rindfleisch. Im direkten Kontakt mit das Gast ist die Aufklärungsarbeit halt einfacher, wobei die Fakten für sich sprechen. Die Galloway -Rinder der Familie Sitter stammen alle aus der eigenen, seit 1981 erfolgreichen Zucht. Und die Hereford-Rinder entsprechen exakt dem, was deutsche Gastronomen seit dem letzten Jahr mühsam als „argentinisches Rind“ aus Übersee beziehen, um den verunsicherten und zum Teil falsch informierten Gast zu beruhigen.
„Da ist man in Deutschland einfach auch etwas verblödet durch die Panikmache“, so die einhellige Meinung im Hause Sitter. Die Familie muß in der Öffentlichkeit derzeit gegen eine Vorverurteilung kämpfen. Diese kommt nach Ansicht von Bernhard Sitter zu einem Großteil von der Sensationslust der Presse sowie von den Fehlentscheidungen der EU.
Betriebsbesichtigungen, Auftritte auf Messen, eine Homepage im Internet sowie Info-Veranstaltungen wie das Hoffest sollen dazu beitragen, der Öffentlichkeit klarzumachen, daß von einheimischen, kontrollierten und liebevoll gepflegten Rinderbeständen keine gesundheitlichen Gefahren ausgehen.
Eine solche Tierhaltung lohnt sich aber nur dann, wenn auch die Wirte umdenken. „Der Schmarrn muß aufhören, daß die Wirte immer nur die Edelteile wollen“, so Bernhard Sitter. „Da muß sich halt der Koch etwas einfallen lassen und alte Rezepte ausgraben.“ – Wir fügen hinzu: Oder Anschauungsunterricht auf Gut Riedelsbach nehmen, denn dort wird dieses Konzept erfolgreich umgesetzt.
Und wenn man schon dabei ist, könnte man von den Sitters gleich noch einiges andere lernen. Zum Beispiel den Wert vom Zusammenhalt der Familie, den Vater Sitter und seine drei Söhne erfolgreich vorleben. Wem das zu altmodisch ist, der soll sich halt an der „Leasing-Sau“ orientieren. Diese Idee ist eigentlich zu gut, um nur auf Ferkeln beschränkt zu bleiben.
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