Projekt Beschreibung
Kaffeerösterei Café Dinzler, Rosenheim
Von der Bohne bis zur Tasse oder „Kaffee mit Seele“ – Spannende, ungewöhnliche Locations zählen in diesem Jahr zu den Hauptmerkmalen unserer Konzeptberichte. In die Kirche (Mosimann’s) oder ins Krematorium (Alsterpalais) haben wir Euch schon entführt. Dieses Mal besuchen wir einen ehemaligen Steinmetzbetrieb in Rosenheim. Was die Familie Richter und ihr Team daraus gemacht haben, läßt sich so auf den Punkt bringen: Kaffee – Von der Bohne bis zur Tasse!
Alles fließt, sagen die alten Römer, und der Kaffeeliebhaber von heute wundert sich. Früher war alles überschaubar. Die Röster haben die Bohnen verkauft, im Café und im Lokal gab’s Kaffee, beim Bäcker Brötchen und an der Tankstelle Benzin. Heute verkaufen Röster wie Tchibo oder Eduscho vor allem Schmuck und Haushaltsgeräte, Kaffee gibt’s nicht nur beim Gastronomen, sondern in der Bäckerei, beim Metzger, an der Tankstelle, in Coffeeshops… Warum also nicht auch dort, wo der Kaffee herkommt – direkt in der Rösterei?
Im Café Dinzler kann man Kaffee mit allen Sinnen erfahren. Der Gast kann den Kaffee sehen, riechen, fühlen, genießen, kaufen… Allein schon der Duft macht so richtig neugierig auf Kaffeespezialitäten aller Art. Im Café ist der Gast mittendrin, links ist die Rösterei, wo der Kaffee gebrannt wird, rechts ist der Laden, in dem Kaffee und alles, was damit zu tun hat, verkauft wird.
Das Café Dinzler ist weder ein neumodischer Coffeeshop noch ein altmodisches Kaffeehaus. Das Café ist schlicht und ergreifend der Vorraum der Rösterei. Da gibt’s keinen überflüssigen Schnickschnack, als Deko-Material dienen u.a. große Kaffeesäcke und Kaffeepflanzen. Was geboten wird, ist kurz gesagt authentische, unmittelbare Kaffeekultur. Es ist wohl nicht zu hoch gegriffen, wenn man schreibt, Inhaber Franz Richter hat sich damit einen Lebenstraum erfüllt.
Der gebürtige Schwabe hat seit fast zwei Jahrzehnten mit Kaffee, genauer gesagt mit Kaffeemaschinen zu tun. Er hat die Region Südostbayern für namhafte Hersteller (WMF, bremer) beackert und anschließend für Schaerer den deutschlandweiten Vertrieb mit aufgebaut. Bei seinen Fahrten über Land hat er immer mal wieder bei der Rösterei Dinzler in Bischofswiesen vorbeigeschaut. „Viele meiner Gastro-Kunden bezogen von dort ihren Kaffee“, so Richter. „Von außen machte dieser Betrieb nicht viel her. Aber was mich beeindruckt hat, war die tolle Kaffeequalität und die hohe Reputation bei den Kunden.“ Und außerdem hatte der alte Dinzler drei Töchter, von denen keine den Betrieb übernehmen wollte. Als Richter vor gut drei Jahren mal wieder auf einen Kaffee in der Rösterei kam, erzählte ihm der Chef. „Ich verkaufe die Rösterei!“
Umsatz verdreifacht
Drei Bedingungen mußte der potentielle Käufer erfüllen: Der Name Dinzler sollte erhalten bleiben, das Unternehmen als eigenständiger Betrieb weitergeführt und die kleine Belegschaft übernommen werden. Franz Richter mußte nicht lange überlegen. Vor drei Jahren hat er die Kaffeerösterei erworben und das Geschäft seitdem kräftig angekurbelt. „Der Kaffeemarkt wächst. In den letzten drei Jahren haben wir den Umsatz verdreifacht“, erzählt der 45jährige. Heute liegt der Jahresabsatz der Rösterei bei 100.000 Kilo Kaffee. In der langen Liste der Gastro-Kunden fehlen der Gasthof um die Ecke genau so wenig wie bekannte Toplokale in München.
Wer Dinzler-Kaffee bezieht, muß nicht unbedingt Dinzler-Kaffee verkaufen. Wie bitte? Der Kaffee kann zum Beispiel auch Prinzipal heißen. Das ist ein Spezialkaffee, der eigens für das Rosenheimer Kultur- und Kongreßzentrum abgemischt wird mit Spezialetikett. Anders formuliert: Die Gäste des Kulturzentrums bekommen einen Kaffee, den es nur einmal gibt auf der ganzen Welt! Wenn das kein USP ist! „Diesen Service bieten wir im Prinzip allen unseren Gastro-Kunden an“, so Franz Richter.
Wie Ihr Kaffee schmecken soll, können die Gastronomen selber bestimmen. Für die Abmischung steht im Hause Dinzler eine kleine Spezialröstmaschine zur Verfügung.
Spezialkaffee mit Eurem Logo drauf!
Klingt nach einem verführerischen Angebot für Gastronomen, die so richtig ins Kaffeegeschäft einsteigen wollen: eine eigene, einzigartige Kaffee-Marke fürs Lokal, mit zugkräftigem Namen und dem Logo des Lokals drauf! Da hört man richtig die Bedienungen zu Höchstform auflaufen im Gespräch mit dem Gast: „Darf ich Ihnen zum Abschluß des Menüs noch etwas ganz Besonderes empfehlen: einen Espresso, einen Cappuccino, einen Latte Macchiato von unserem hochwertigen Spezialkaffee xy? Den gibt’s nur bei uns!“ Und wenn dem Gast der Kaffee schmeckt, kann er natürlich auch eine Packung oder zwei mit nach Hause nehmen…
„Wenn wir einem Gastronomen eine Kaffeemaschine oder unseren Kaffee verkaufen, hört der Kundenkontakt nicht auf“, so Franz Richter. In einem kleinen Ausstellungs- und Verkaufsraum können sich Gastronomen beispielsweise über die Wirkungsweise von Kaffemaschinen informieren. Für die Gastro-Mitarbeiter werden Schulungen angeboten mit dem Hintergedanken: Wer über Kaffee, seine Herstellung, seine Zubereitung Bescheid weiß, der kann Kaffeespezialitäten auch ganz anders verkaufen.
Wer im Café Dinzler beispielsweise einen Latte Macchiato bestellt, wird gefragt: „Wollen Sie Ihren Macchiato eher leicht oder eher stark?“ Bei Espresso hat der Gast gar die Wahl zwischen sechs verschiedenen Geschmacksrichtungen. Wer will, kann sich auch den teuersten Kaffee der Welt bestellen den Jamaica Blue Mountain. Eine ganz normale Tasse Kaffee gibt’s auch, für erschwingliche 1.50 Mark. Beim Konzept für das Café hat sich Franz Richter nicht an hypermodernen Coffeebars orientiert, sondern an einer Gaststätte in seinem Heimatort Wangen. „Da gibt’s eine Wirtschaft, da hat sich in den letzten 40 Jahren nicht viel geändert“, erzählt der 45jährige. „Wenn ich da hinkomme, ist immer was los. Da sitzen Schüler und Schlipsträger, Lkw-Fahrer und Geschäftsleute bunt gemischt an langen Tischen und kommen so ins Gespräch. So einen Treffpunkt für jedermann wollen wir hier auch aufbauen.“
Ein Wirtshaus mit Seele also, und selbst die bezieht die Familie Richter aus Wangen. Das Café in der Rösterei ist kein Gourmettempel. Da gibt’s nicht mal eine Speisekarte, sondern eine Tafel, auf der je nach Tageszeit kleine Gerichte angeboten werden, zum Beispiel morgens selbstgemachter Kuchen oder mittags kleine Snacks wie „Seele mit Schinken und Käse“ für vier Mark. „Seelen“ sind nichts anderes als pikante Semmeln die Franz Richter aus Wangen bezieht und als USP verkauft.
Die Eröffnung ging vor vier Monaten über die Bühne, nach dem Umzug der Rösterei von Bischofswiesen nach Rosenheim. „Wir haben nach einem Standort gesucht, der mehr Platz bietet sowie näher und zentraler an unseren Kunden liegt“, so Franz Richter. Im Vordergrund des Geschäfts steht ganz eindeutig die Rösterei. Das Café und der Laden laufen umsatzmäßig am Rande mit, dürften aber ausbaufähig sein.
Der Start verlief ohne große Werbung, ohne Eröffnungsgala mit Knalleffekt. „Derzeit kommen ca. 100 Leute am Tag ins Café und in den Laden“, so Richter. „Aber es werden ständig mehr. Unser Angebot spricht sich rum.“ Das Ganze wirkt familiär. Da verkauft Ehefrau Isolde Richter am Tresen Kaffee, während Franz Richter schnell mal einen Tisch abräumt, wenn sich das Café zur Mittagszeit füllt. Sechs Vollzeitkräfte arbeiten für die Familie Richter, die Führungskräfte sind am Unternehmen beteiligt.
Synergien zwischen Café und Laden
Marketingprofis sprechen gerne von „Synergieeffekten“. Im Café Dinzler läßt sich bei einem Kaffee an der Bar schön beobachten, was dieses Wort in der Praxis bedeutet. Da kommen Kunden in den Laden, um ein Pfund Kaffee zu kaufen und trinken noch schnell einen Espresso oder ein Glas Wein an der Bar. Und die Gäste des Cafés schauen beim Gehen noch kurz im Laden vorbei, schmökern in Büchern über Kaffee, schauen sich die Kaffeepflanzen an, nehmen vielleicht heute eine Tüte Mandeln mit und kaufen morgen eine Tafel Schokolade in der Geschmacksrichtung „kaffe noir“.
Wir haben es oft genug geschrieben: Kaffee ist „in“, Kaffee ist äußerst renditestark, Coffeeshops schießen überall wie Pilze aus dem Boden… Trotzdem: Kaffee in der Gastronomie sollte nicht nur mit Kapitalertrag in Verbindung gebracht werden, sondern auch mit Kompetenz und Können. Was man sonst noch aus dem Café Dinzler mitnehmen könnte? Eine Ahnung dafür, wie man das Thema Kaffee zelebiert. Nicht jeder Wirt kann oder sollte sich eine eigene Rösterei zulegen. Aber er könnte auch so das Trendthema Kaffee viel stärker in den Mittelpunkt rücken: mit einer originellen Location als Bühne für ein individuelles Kaffee-Konzept
mit Kaffee in all seinem Variationen (von der Pflanze bis zur Bohne) als Deko-Material mit Kaffeespezialitäten in Hülle & Fülle und eigenen Kaffee- Kreationen mit einer Merchandising-Ecke mit verschiedenen, eigenen Kaffeesorten, Accessoires, Espressomaschinen, etc. – Wo doch die Kaffeeröster heutzutage vor allem Schmuck und Haushaltsgeräte verkaufen…
Erschienen im Gastronomie-Report 9/2000
Foto: Kaffeerösterei Café Dinzler
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