Projekt Beschreibung
Bikehotel Gasthof Gruben
Wo die Welt aufhört, wo die Berge dem Talgrund auf den Pelz rücken, wo dicke Verbotsschilder Autos und Motorräder aussperren, liegt das Trettachtal. Dort führt der beliebteste Wanderweg von Oberstdorf in die Spielmannsau, die höchsten Gipfel der Allgäuer Alpen, Mädelegabel und der Große Krottenkopf, sind zum Greifen nah. Weil wandern auch auf solch einem flachen Spazierweg durstig macht, gibt es natürlich Jausenstationen. Eine davon ist das Gasthaus Gruben mit Sonnenterrasse, Apfelschorle, Kaffee und Kuchen.
Nicht gerade ein jugendliches Klientel, das da 1996 seine Schwarzwälder bestellte – in dem Jahr, als Peter Müller den Gasthof von den Eltern übernahm. Von Kaffee und Kuchen allein ließ sich nicht leben und von der mickrigen Auslastung der paar Hotelbetten auch nicht.
Peter Müller dachte nach, zog Bilanz. Sein größtes Plus: Die traumhafte Alleinlage in einem autofreien Tal. Sein größtes Minus: Die traumhafte Alleinlage in einem autofreien Tal! Für den herkömmlichen Tourismus ist das nun einmal ein Minus, denn manch einer will abends noch bummeln und nicht nur Fuchs und Hase beim Gute-Nacht-Sagen zusehen. Wer aber könnte profitieren, fragte sich Peter Müller und die Antwort lag auf der Hand: Sportler, die von hier aus zu Touren aufbrechen und bereits mitten im Wandergebiet wohnen wollen. Biker, die gleich hinter der Haustür sensationelle Mountainbikerouten vorfinden und am Abend nicht mehr in die Disco wollen, weil sie genug Sport hatten. Familien mit kleinen Kindern, weil hier die Kids spielen können, ohne jemals von Autos gefährdet zu sein und keiner ständigen Aufsicht bedürfen.
Peter Müller dachte nochmals nach: Wanderhotels gab es genug, Familienhotels auch – aber ein Bike-Hotel? Er gründete das 1. Bikehotel, wohl wissend, daß nur völlig neue Ideen ziehen. Sein Tip für alle Hoteliers- und Wirte-Kollegen: „Es ist sinnlos, als Trittbrettfahrer irgendwo aufspringen zu wollen. Die Leute suchen heute das Original. Du mußt der erste sein mit deiner Idee und diese konsequent verfolgen“ Genau das zeichnet den Allgäuer aus: Konsequenz. Ein Hotel als Bikehotel zu deklarieren ist das eine, aber fünf Leihbikes machen noch keinen Bike-Sommer.
Es ging um ein klares Konzept, das Jahr für Jahr weiterentwickelt wird. Peter Müller dachte nämlich nochmals nach und analysierte den Menschen, erkannte den modernen Urlauber. Seine Zielgruppe hat durchaus Geld, gibt Geld aber nur für Qualität aus und für ein echtes Erlebnis. Sie bedarf einer gewissen Anleitung, braucht ein Gruppengefühl und die gemütliche Atmosphäre des Landlebens – Dinge, die im modernen Großstadtleben und im Arbeitsalltag einfach fehlen und „eigentlich sowieso unbezahlbar sind“, wie das Paul, ein Stammgast aus Köln formuliert. Er kommt so gerne wieder, weil er sich „aufgehoben fühlt – sportlich und menschlich!“
Auf der Seite des Sports stehen mehrere Angebote. Was die Hardware betrifft: Top-Leihbikes, eine Fahrrad-Werkstatt, Einsperrmöglichkeiten für das eigene Bike. Die Touren, die von Gruben ausgehen, sind alle geführt und werden dem Können der Gäste angepaßt – ob leichte Forstwegtouren mit wenigen Höhenmetern oder echte Kraxelpartien Richtung Warth am Arlberg. Dabei ist immer einer der sechs freiberuflichen Bikeguides. Und schon kommt zum Sport die menschliche Seite dazu: Die Jungs sind Top-Athleten, die sowohl sportlich als auch medizinisch ausgebildet sind, außerdem ein Training absolviert haben, wie man mit Menschen umgeht. Auch mit solchen, die einen Durchhänger haben, die meutern, die Angst bekommen! „Die Gruppe stützt dich,“ bestätigt Paul, ich hatte auch Phasen, wo ich sterben wollte, aber Guide Achim hat mich so sensibel aufgebaut, daß ich den letzten Anstieg auch noch gepackt habe.“
Manchmal ist Peter Müller auch selber dabei oder aber er schraubt mit einigen Kids an den Rädern rum. „Ganz ohne mein zutun wurde ich eben auch zum Familienhotel, wo Papa eine Gewalttour macht, Mama eine etwas geruhsamere Tour und die Kids einfach hier bleiben. Ganz ohne professionelle Kinderbetreuung und Nintendo zur Beruhigung. Die Kids helfen beim Räderreparieren, rühren Kuchen in der Küche – alles ganz relaxt.“
Am Abend sitzt dann die gesamte Truppe erst in der Sauna und dann am gemütlichen Kamin und tauscht Heldenstories aus: Die Berge werden höher, die Anstiege fast überhängend, die Augen strahlender. Neuerdings kommt ein Arzt ins Haus, der Laktatmessungen wie bei den Profis durchführt, der optimale Trainingsmethoden aus medizinischer Sicht beleuchtet, der über das Training auf der richtigen individuellen Pulsfrequenz aufklärt.
Schöne Zimmer ohne Fernseher
Alle sitzen noch lange am Abend in der Runde – Peter Müller hat nämlich in den hübschen, im Landhausstil eingerichteten Zimmern bewußt auf Fernseher verzichtet. „Hier kann man anders fernsehen, in die Berge hinein zum Beispiel. Ich will die Leute an den Kamin holen, die sollen reden und Spaß haben und Erinnerungen mit nach Hause nehmen!“ Hotel-Marketing-Strategen hatten ihn für verrückt erklärt: In der heutigen Zeit kein Fernseher sei Wahnsinn! Aber Peter Müller ist eigensinniger Allgäuer genug, um an sein Konzept zu glauben.
Es ging auf und es hat inzwischen auch Außenwirkung auf den gesamten Oberstdorfer Raum. Das Verhältnis zwischen Bikern und Wanderern ist viel besser geworden. Seine Guides grüßen stets freundlich, fahren nur Routen, die für Räder geeignet sind. Auf Anraten des Bikehotels wird Oberstdorf nun Wege so beschildern, daß der Wanderer weiß, was ihn erwartet. Reine Wanderwege sind für Bikes tabu, wo das Wander- und das Bikesymbol zu sehen ist, weiß der Spaziergänger, daß er mit einem Pedalritter zu rechnen hat.
Das Bikehotel ist auf jeden Fall auch für andere touristische Zweige eine Belebung, denn Peter Müller organisiert an Schlechtwettertagen Ausflüge ins Hallenbad, er imitierte einen Rafting- Schnuppertag bei einem Kumpel, der eine Wildwasserschule betreibt. Sein Tagesprogramm liegt auch bei anderen Gasthöfen aus und umgekehrt bringt er Leute in anderen Betrieben unter. Er geht mit seinen Leuten natürlich zum Wirtskollegen in den Biergarten. Jeder profitiert von jedem und solche Konzepte ziehen immer weitere Kreise.
Incentive-Veranstaltungen von Firmen ranken sich rund um das Erlebnis Bike, der Veranstalter „Teamwork“ bietet MTB Erlebnispädagogik an, um die Teamfähigkeit zu fördern. Das Schweizer Rennradteam kommt hierher ins Trainingslager, denn neben Mountainbikerouten bieten die teilweise gesperrten und durchwegs asphaltierten Allgäuer Nebenstraßen optimale Bedingungen. Willkommen ist jeder, der Spaß am Sport hat – auch solche, die eine Mehrtagestour unternehmen und nur eine Nacht bleiben. „Des sind au potentielle Kunda, rede musch halt mit de Leit,“ meint der sympathische Wirt fast schon verwundert, weil das andernorts anscheinend so schwer ist. Und: „An eum Strang zia musch heitzdag und flexibl sei.“
Erschienen im Gastronomie-Report 6/1998.
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