Projekt Beschreibung
Gasthof Inselmühle, Fischen im Allgäu
Was ist das für einer, der so etwas behauptet? Thomas Hutner ist seit 15 Jahren in der Gastronomie tätig, hat Koch gelernt, ist seit 1983 selbständig und hat im April 1992 die Inselmühle erworben. Er ließ den Gasthof mit 50 Betten, Bar und Restaurant komplett renovieren. Soweit nicht ungewöhnlich…
Etwas ungewöhnlicher ist, daß Thomas Hutners Bruder ein erfolgreiches Seminarunternehmen besitzt und auch Thomas Hutner ab nächstem Jahr selber Seminare für die Gastronomie anbieten wird. Das Einzigartige der Inselmühle hat auch nichts mit ihrem Exterieur oder Interieur zu tun, sondern mit dem Team, das dort arbeitet. Wenn bei der Inselmühle in der Speisekarte, in den Broschüren oder in offiziellen Anschreiben „Wir“ steht, ist das kein rhetorischer Kniff, sondern wirklich so gemeint. Hinter diesem „Wir“ steht die ganze Crew und zwei Grundideen des Chefs:
Erstens: Erst derjenige Mitarbeiter arbeitet und denkt mit, der hinter die Kulissen schauen kann, der weiß, warum er etwas tut. Die Arbeit geht nur dann über bloßes Agieren hinaus, wenn er eigenverantwortliche Aufgaben übernimmt.
Zweitens: Erst derjenige Chef hat Erfolg und verzettelt sich nicht, der delegieren kann, der Aufgaben abgibt und Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Leute hat.
Dem würden sicher viele Wirte zustimmen, das alles klingt griffig und einleuchtend, aber hier geht es um mehr als um Lehrsätze aus einem Marketing-Handbuch. Thomas Hutner warnt vor zu viel Euphorie: „Oftmals kehrt einer von einem Seminar zurück und ist voller Erwartungen, stürzt sich mit Elan und neuen Erkenntnissen auf seine Mitarbeiter.
Umstrukturierungen funktionieren aber nicht von heute auf morgen, sondern sind lange Prozesse. Für viele Chefs ist es gar nicht so einfach, Aufgaben abzugeben, denn da geht letztlich auch um die Macht. Man kann sich nicht schlagartig auf einen neuen Führungsstil umstellen, denn wenn wirklich der erste Mitarbeiter mit massiver Kritik auftaucht, sind die schönen Team-Parolen aus dem Seminar schnell vergessen. Das ist dann besonders fatal, weil man den Mitarbeiter erst zur Kritik ermutigt und ihn dann bestraft. Konzepte wie das unsere funktionieren nur, wenn nicht zu früh beim ersten Problem aufgegeben wird.“
Der Einkauf ist die Sache des Kochs
Wie das Team in der Inselmühle die Theorie in die Praxis umsetzen konnte, ist an vielen Beispielen zu belegen: Eine der ersten Schritte zum Delegieren wurde in der Küche vollzogen: Der Koch ist voll für den Einkauf verantwortlich. Anfangs begleitete ihn Thomas Hutner noch, anfangs bedeutete das Mehrarbeit, heute ist das Eingreifen nicht mehr notwendig. Mana, die 1992 als ungelernte Kraft im Service begann, ist heute eine Restaurantleiterin, die den Laden voll im Griff hat. „Sie konnte in diese Aufgabe hineinwachsen, weil ich ihr immer Vertrauen entgegengebracht und sie bestärkt habe“, sagt Thomas Hutner. Heute geht es dem Chef oftmals so, daß er einen Mitarbeiter bei der Arbeit sieht, den er eigentlich in der Freizeit wähnte: „Meine Leute machen ihre Dienstpläne längst selber und die können das weit besser als ich. Sie sprechen sich ab und holen auch selbständig Aushilfen, falls nötig.“
Dieses hohe Maß an Eigenverantwortlichkeit resultiert aus dem eingangs erwähnten Blick hinter die Kulissen. Die Crew ist über alle betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge informiert, jedes Jahr werden klare Zielvorgaben formuliert. 1995 war das Hauptziel, einen Umsatz von 1,57 Mio DM (860.000 DM Restaurant, 540.000 DM Hotel, 170.000 DM Kleine Insel Bar) zu erzielen. Gemeinsam mit dem Team wurden Felder erarbeitet, auf denen Umsatzsteigerungen möglich schienen: besserer Umsatz in der „Kleinen Insel“, Öffnung an den Nachmittagen, Wegfall der Ruhetage in der Hauptsaison, Anpassung der Preise an das Kostenniveau.
Der Wirt als Zirkusdirektor
Diese vier Felder bedingten dann Aktivitäten wie beispielsweise eine ganze Reihe von Veranstaltungen auf kulinarischer und kultureller Ebene. Das Ungewöhnliche auch hier: Es wurde nicht irgendeine anonyme Truppe engagiert, sondern die Mitarbeiter inszenierten sich – um nur ein Beispiel zu nennen – als „Cats“, der Chef sich selber als Zirkusdirektor. Für die Gäste – speziell das Stammpublikum – ist das natürlich viel charmanter, wenn „ihre“ Leute sich als Animateure betätigen. Der Sympathiewert ist viel höher, O-Ton in etwa: „Mensch, mir hond gar it denkt, daß dr Horscht so eps ka…“
1996 versuchte die Inselmühle etwas Neues: Aus den Parametern „Umsatz, Personalkosten, Wareneinsatz, sonstige Betriebskosten, Aushilfen, Gästestruktur“ wurde eine Art Bestandsaufnahme betrieben und dann durch Veränderung nur eines Parameters getestet, wie das die anderen beeinflußt. Die Ergebnisse waren teils sehr verblüffend und das gesamte Team war involviert, aus diesen Ergebnissen Lehren zu ziehen. So war es eine Team-Entscheidung, daß die Personalkosten reduziert wurden. Selbstredend grub sich die Belegschaft damit nicht selber das Wasser ab, sondern sann über mehr variable Stunden nach, über bessere, d.h. gezieltere und flexiblere Planung. Ergebnis: Der Verdienst für den einzelnen blieb gleich oder verbesserte sich, die Gesamtpersonalkosten wurden reduziert.
„Wer ernst genommen wird, der ist motiviert, sich auf allen Feldern im Betrieb Gedanken zu machen. Die besten Ergebnisse entstehen immer dort, wo sich beim Brainstorming ganz unterschiedliche Ideen zu einem Ganzen verbinden“, erzählt Thomas Hutner. Als Beispiel fällt ihm die Außenkarte ein. Die Inselmühle hatte etwa 100 Meter entfernt, nahe Kurpark und Bahnübergang, einen recht mitgenommenen Kasten stehen, in dem die Speisekarte vor sich hin gammelte. Der Kasten mußte weg, denn er war keine gute Visitenkarte. Als Übergangslösung nahm man einen Kasten von der Brauerei, stellte alsbald aber fest, daß durch die Sonneneinstrahlung die Karte nach wenigen Tagen vergilbt war. Guter Rat war teuer, bis im Team eine Idee reifte: Glaskasten ist schlecht, Papier auch – wieso stanzen wir die Karte nicht gleich in Holz. Horst, der Thekenmann, schrieb mit einem Brennstift die Standardkarte in eine hübsche Schnitz-Holztafel (etwa 1,5 auf 1 m groß), die inzwischen in Fischen zu einer Art Sehenswürdigkeit avanciert ist und schon von weitem signalisiert: Das muß etwas Besonderes sein. Dazu informiert ein kleiner integrierter Glaskasten über die Tageskarte.
Nicht immer sind die Ideen der Crew so erfolgreich. „Man muß auch lernen, mit Mißerfolgen zu leben“, so Thomas Hutner, „letztlich läßt sich eine Niederlage gemeinsam auch besser verkraften.“ Als die Inselmühle ihre Speisekarte wie eine Zeitung gestaltete – mit Namen „Culinarium Press“ – wurde diese Idee von den Gästen nicht angenommen. Dafür aber findet die Kinderspielecke jede Menge Zuspruch und der Bastelbogen auch: Jedes Kind darf nämlich die Inselmühle aus einem Pappkarton-Bastelbogen selber bemalen, ausschneiden, falten und zusammenstecken. Dazu gibt es Figuren zum Ausschneiden – Gäste, Tiere, Kellnerin und Koch – die das Papp-Kunstwerk dann bevölkern.
Erfolg und Mißerfolg liegen oft dicht beisammen und genau das ist meist der Knackpunkt bei der Realisation solch eines Konzepts: „Man muß selber Fehler machen dürfen und jedem im Team zugestehen, Fehler zu machen“, so das Fazit von Thomas Hutner. „Dann allerdings sollte man diese gemeinsam analysieren und gemeinsam lernen.“
Erschienen im Gastronomie-Report 10/1996. Für weitere innovative Konzepte für Gastronomie, Bar und Hotels empfehlen wir Ihnen ein Jahresabo des Gastronomie-Report.
Foto: Hübner & Partner