Projekt Beschreibung

Café „Windbeutelgräfin“ in Ruhpolding

Die Service-Kraft gönnt sich noch eine Tasse Kaffee. Es ist kurz vor elf Uhr. Ein paar Minuten später drängen die Gäste durch die schwere Eichentür. Wir befinden uns im Lokal „Windbeutelgräfin“ im Mühlbauernhof in Ruhpolding, dem wahrscheinlich größten Windbeutel-Café der Welt.

Ein Kochbuch definiert Windbeutel als „Brandteiggebäck“ und als „typisch bayrische Süßspeise“. Nach einem Besuch des Mühlbauernhofs ergibt sich folgendes Bild: Der Windbeutel ist 11 Zentimeter hoch, 15 Zentimeter breit, besteht zu 65 Prozent aus Luft und ist ein Millionen-Bestseller in Ruhpolding – erfolgreich vermarktet von Jochen Grill.

Patentierte Süßspeise
Der Küchenmeister managt das Windbeutelgeschäft seit 1977. Jährlich werden rund 70.000 Exemplare des Gebäcks im historischen Mühlbauernhof verkauft. Nach der internen Zählung des Hauses sind seit dem 13. Februar 1983 weit mehr als 700.000 Windbeutel gebacken worden. Das Datum ist von Bedeutung, weil sich an diesem Tag der Tod Richard Wagners zum hundertsten Male jährte. Seine Oper „Lohengrin“ hatte den Wagner-Fan Jochen Grill inspiriert,  die Windbeutel in Form eines Schwans zu backen – der Lohengrin Windbeutel.

Schwanenhals in jedem Windbeutel
In jedem Windbeutel steckt ein Schwanenhals aus Spezialkarton. Darauf ist vermerkt, den wievielten Windbeutel die Gäste seit Beginn der Zählung serviert bekommen. Die wenigsten wissen allerdings, daß sie ein Unikum in der deutschen Rechtsgeschichte bestellt haben. Denn der Schwanenhals ist gesetzlich geschützt. Wie läßt sich nun eine weitgehend bekannte Süßspeise zum Patent anmelden?
Jochen Grill hatte die Idee: „Nachdem ich mit meinem ersten Antrag beim Patentamt nur für Heiterkeit gesorgt hatte, ließ ich mir einen Trick einfallen. Ich beauftragte einen Grafiker, mir Skizzen für einen Windbeutel in Schwanenform anzufertigen. Damit ging ich erneut zum Patentamt und diesmal konnte man mich nicht mehr abweisen.“

Vierter Beutel gratis
Die historischen Wurzeln des Ruhpoldinger Windbeutels lassen sich bis zum Jahre 1950 zurückverfolgen. Damals versuchte eine Gräfin von Sommnitz, sich mit dem Brandteiggebäck ein bescheidenes Einkommen zu sichern: Sie verkaufte die Windbeutel mit einem Haferl Kaffee an vorübergehende Spaziergänger. Schließlich fand sie eine Bleibe im ehemaligen Mühlbauernhof, einem prächtigen Bauernhaus. Das Geschäft blühte. Und so kam es, daß die Ruhpoldinger nicht mehr von der Gräfin von Sommnitz, sondern von der „Windbeutel-Gräfin“ sprachen.
Noch heute ist der 1533 erstmals erwähnte Hof, der lange Zeit von den Salzburger Bischöfen als „Sommerfrische“ genutzt wurde, in seiner ursprünglichen Form erhalten. Er steht jetzt unter Denkmalschutz. Die Gräfin übergab ihre Einkehr im Jahre 1977 an Anneliese und Jochen Grill, die sich ebenfalls „Windbeutelbäcker zu Ruhpolding“ nennen – eine Untertreibung. Neben dem Paradegebäck werden auch andere Gerichte nach alten bayrischen Rezepten angeboten. Doch die 120.000 Gäste pro Jahr kommen vor allem wegen der Windbeutel.
Jochen Grill lockt seine Gäste mit einem besonderen Angebot. Wer drei Windbeutel verputzt, dem spendiert er den vierten gratis und das Taxi für die Heimfahrt dazu. Durchschnittlich meldet pro Woche ein Gast seinen Anspruch auf die vierte Kalorienbombe an.

www.windbeutelgraefin.de

Dieses Gastro Konzept ist erschienen im Gastronomie-Report, Ausgabe 3/1993

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Foto: Café Windbeutelgräfin