Fordert man bayerische Topköche auf, ihre Ideen zum Thema „Wildes Bayern“ aufzutischen, landen nicht nur heimisches Reh, Waller, Karpfen oder Wildschwein auf dem Teller, sondern  auch moderne Zuchtprodukte wie Garnelen aus bayerischer Aquakultur oder Exotenfrüchte aus dem Tropenhaus. Traditionellen Gerichten wie Presssack und Sauerbraten geben seltene Zutaten wie Biber oder Elch eine wilde Note.

Die bayerische Küche hat deutlich mehr zu bieten als die klassische Dreifaltigkeit aus Schweinsbraten, Semmelknödel und Biersauce. Wie vielfältig und ungewöhnlich in Deutschlands Süden gekocht werden kann und welche urbayerischen Gerichte durch wilde Zutaten ein zeitgemäßes Update bekommen können, bewiesen zehn Ausnahmeköche beim „CookTank“ im oberfränkischen Kulmbach. Mit der als Workshop ausgelegten Koch- und Denkfabrik bot das Online-Magazin Sternefresser.de gemeinsam mit der Genussakademie Bayern einen Ideenaustausch auf Augenhöhe. Reihum zeigten die Chefs anhand von neuen Gerichten und Zubereitungstechniken das Potenzial ihrer Küchen, während Produzenten wie Gemüseexperten und Züchter sich mit Warenkunde und Kostproben einbrachten.
Neben lebhaften Diskussionen über kulinarische Trends stand vor allem der Umgang und die intelligente Nutzung natürlicher Ressourcen im Mittelpunkt: Essbares aus heimischen Wälder, Wiesen und Flüssen, aber auch Gezogenes und Gezüchtetes. Hier füllt sich der Warenkorb dank findiger landwirtschaftlicher Micro-Erzeuger und spezialisierter Produzenten nicht nur mit angebauten Feldfrüchten oder Fleisch aus artgerechter Nutztierhaltung. Längst werden historische Tomaten- und Paprikasorten rekultiviert, vergessene Kräuter oder Blüten in Gewächshäusern herangezogen und selbst Artischocken geerntet.
„Die Wertschätzung für kleine Lieferanten mit individuellen Produkten ist erfreulicherweise nicht nur in der Spitzenküche, sondern auch beim Gast in den vergangenen Jahren gestiegen. Dieses Interesse beflügelt das Angebot“, erläutert CookTank-Veranstalter Christian Stromann und führt aus: „Wer heute wirklich mit naturbelassenen oder größtenteils regionalen Zutaten kochen will, findet mit etwas Glück Lieferanten, die Besonderes statt Massenware bieten können.“
Doch auch wenn sich die Auswahl insgesamt verbessert hat, gilt: „Die Köche müssen flexibel und einfallsreich sein, denn die Natur bestimmt, was wie lange geliefert werden kann“, bestätigt Johannes Schwarz, der aus seinem biologischen Gartenbau in Johanneskirchen u.a. den Münchner Zwei-Sterne-Koch Tohru Nakamura beliefert. Außerdem seien Farbe, Form und Geschmack eben nicht wie in der konventionellen Landwirtschaft genormt und die Mengen weniger planbar. „Wenn ein Gemüse aus ist, muss die Küche umdisponieren.“

Zu den überzeugten Vertretern einer auf naturnahe, regionale Zutaten fokussierten Küche gehört zweifelsohne das „Sosein Restaurant“ im mittelfränkischen Heroldsberg. Das Team um Küchenchef Felix Schneider experimentiert oft Monate bei der Zubereitung vermeintlich einfach anmutender Gerichte wie „Karpfen mit Miso und Pelargonie“. So wurde der in der gehobenen Gastronomie kaum genutzte Süßwasserfisch mittels Ike-Jime-Schlachtung und sechstägiger Reifezeit präpariert. „Wir haben festgestellt, dass die Textur durch den Bindegewebsabbau zart schmelzend wird und die leicht muffige Note, die Karpfen manchmal haben kann, verschwindet“, erklärt Schneider. Dass die bewusste Einschränkung auf die eigene Region erfinderisch macht, zeigen auch die Beilagen: Würze bekommen die rohen Fischfilets durch das pfeffrige Öl einer getrockneten Geranienart, gefrorenem schwarzen Rettich sowie einer aus Schleien fermentierten Fischsauce.

Altbewährtes neu zu interpretieren, erfordert vom Koch stets ein besonderes Gespür – schließlich sollte nicht nur die Idee stimmig sein, sondern der Gast das Grundgericht auch wiedererkennen. Anton Schmaus kennt sich als Spross einer bayerischen Gastronomenfamilie mit den Küchenklassikern seiner Heimat bestens aus. Für seinen in Rotweinbeize eingelegten und mit Lardo gespickten, „wilden“ Sauerbraten greift der Küchenchef vom Restaurant Størstad in Regensburg allerdings zu Elch, den sein Schwiegervater in Schweden frisch erlegt hat, und verbindet damit Gutes aus zwei Welten.

An die Neuauflage einer bayerischen Brotzeit wagte sich Ludwig Maurer. Der Fleischexperte konzentrierte sich ausnahmsweise auf Essbares aus dem Wasser. Neben Garnelen aus der bayrischen Aquakultur Crusta Nova, servierte er Schneckeneier, Dachsschinken und Presssack von Saibling, Aal und Biber. „Der Biber war in Bayern fast ausgestorben, doch durch Schutzprogramme wurde der Flussbewohner wieder so erfolgreich angesiedelt, dass er heute von Zeit zu Zeit geschossen werden muss, um den Bestand gesund zu halten“, stellt Maurer klar. „Und wenn man ein Tier tötet, sollte man es auch verwerten und genießen – schließlich ist es feines Fleisch in bester Bio-Qualität.“

Als Partner unterstützte die „Genussakademie Bayern“ die 13. Ausgabe des CookTanks.  „Bayern steht für eine ausgeprägte Genusskultur. Neben der hohen Dichte an guten Gasthäusern mit urbayrischer Küche hat sich das Interesse an bewusster Ernährung stark weiterentwickelt. Davon zeugen auch die mittlerweile 48 vom Guide Michelin besternten Adressen“, erklärt Simon Reitmeier, Leiter der Genussakademie. „Wir fungieren als Schmelztiegel für alle Akteure der Branche, denn unsere Aufgabe ist es, Wissen zu erweitern und das Netzwerk fördern. Der enge Kontakt zu den Köchen ist somit enorm wertvoll für uns.“

Weitere Infos: www.sternefresser.de und www.genussakademie.bayern

Foto: Genussakademie Bayern